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Regionalverkehr 1-1997

Der Siemens-Regio-Sprinter

Der RegioSprinter ist das erste Fahrzeug, das nach den Rahmenvorgaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) für einen rationellen und modernen Nahverkehr auf die Schiene gestellt wurde. Basierend auf diesen Vorgaben erarbeitete die Dürener Kreisbahn (DKB) ein Lastenheft, in dem die Grundsätze und Regeln der von ihr zu beschaffenden Triebwagen wie deren Einsatzbedingungen, technische Daten und wagenbauliche Gestaltung beschrieben waren. Am 24. September 1993 wurde die Lieferung von sechzehn RegioSprintern zwischen der DKB und der seit 1989 zur Siemens AG gehörenden DUEWAG AG vertraglich geregelt.

Um den eng gesteckten Kostenrahmen ebenso wie die DKB-Vorgaben einhalten zu können, verabschiedete man sich von der Bauweise bestehender Dieseltriebwagen und entwickelte ein neuartiges Fahrzeugkonzept, das wesentliche Komponenten und Baugruppen aus der Bus- und Straßenbahn-Großserienfertigung übernahm. Zugunsten einer gewichts- und damit kostensparenden Leichtbauweise wurde auf die nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) notwendige Längssteifigkeit von 1 500 kN verzichtet. Die RegioSprinter weisen nur eine Längssteifigkeit von 600 kN auf, dafür aber ein erhöhtes Bremsvermögen nach der Bau- und Betriebsordnung für Straßenbahnen (BOStrab). Dennoch waren die Triebwagen im Mischbetrieb mit vollbahntauglichen Fahrzeugen zunächst nur mit Ausnahmegenehmigung einsetzbar. Im Oktober 1996 wurde von der TU Hannover der Nachweis erbracht, daß die RegioSprinter den Fahrgästen und dem Fahrpersonal mindestens die gleiche Sicherheit bieten wie Eisenbahnfahrzeuge herkömmlicher Bauart, so daß die leichten Triebwagen heute ohne Einschränkungen auf allen Strecken eingesetzt werden können.

Fahrzeugaufbau

Der dreiteilige Wagenkastenrohbau des RegioSprinter ist als selbsttragende Aluminiumkonstruktion ausgeführt. Dabei ist das Untergestell verschweißt, und die Seitenwände sind verschraubt. Die Fahrzeugköpfe sind als Sandwichteile mit Deckschichten aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GfK) ausgeführt und wie das in Aluminium-Sandwichbauweise gefertigte Dach mit dem Wagenkasten verklebt.

Unter den Endwagen sind angetriebene Einzelradsatzfahrwerke angeordnet, während sich das Mittelteil auf einem antriebslosen Doppelfahrwerk abstützt. Die Fahrzeugenden sind wegen der unterflur angeordneten Antriebsanlagen hochflurig ausgeführt, so daß sich der Niederflurbereich über den mittleren Fahrzeugbereich einschließlich des kurzen Mittelteils erstreckt. Die wagenkastenseitige Anlenkung der geschweißten Fahrwerksrahmen der Einzelradsatzfahrwerke erfolgt durch Längslenker. Während in der Primärfederstufe Metall-Gummi-Federn zum Einsatz kommen, werden in der Sekundärstufe Schraubenfedern verwendet.

Unter jedem Fahrzeugüberhang ist eine autarke Antriebsanlage untergebracht, die aus einem aus dem Busbereich stammenden Fünf-Zylinder-Dieselmotor, einem automatischen Schaltgetriebe, einer Gelenkwelle und einem Radsatzwendegetriebe besteht. Anlasser und Kompressor sind direkt an den Motor angeflanscht, die Lichtmaschine wird über Keilriemen angetrieben. Die Rückkühlung des Motorkühlwassers erfolgt in einer Unterflurkühlanlage mit hydrostatischem Lüfterantrieb. In den Motorkühlkreislauf ist der Getriebeölwärmtauscher eingebunden. Jeder Antriebsanlage ist ein Kraftstofftank mit einem Fassungsvermögen von je 350 Litern zugeordnet.

Die dreisystemige Bremsanlage besteht aus zwei hydrodynamischen Retardern, einer elektropneumatischen Bremse und der Magnetschienenbremse. Der in das automatische Schaltgetriebe integrierte, verschleißfrei arbeitende Retarder wird – zur Minimierung der Abnutzung der Reibungsbremsen – vorrangig zur betrieblichen Verzögerung eingesetzt und verfügt über insgesamt sechs Schaltstufen. Der Retarder wird ergänzt durch die elektropneumatische Bremse, die die Bremsmomente über je zwei Wellenbremsscheiben der Treibradsätze und je ein als Bremsscheibe genutzes Rad der Laufradsätze aufbringt. Mit diesen beiden Bremssystemen kann die nach BOStrab erforderliche maximale Bremsverzögerung von 2,73 m/s2 aus 70 km/h bei einem Bremsweg von nur 69 Metern erbracht werden. Nur bei Gefahrbremsungen wird die Magnetschienenbremse eingesetzt, die im Fahrwerk unter dem Mittelteil untergebracht ist.

Die RegioSprinter verfügen über ein mit 24 V Gleichstrom betriebenes Bordnetz. Jeder Maschinenanlage ist eine separate Batterie mit einer Kapazität von 200 Ah zugeordnet, welche den Anlasser und den zugehörigen Teil des Bordnetzes versorgt. Die elektrische Anlage erlaubt die Steuerung von bis zu drei Triebwagen von einem Führerstand aus.

Die Triebwagen sind mit rahmemlosen, außenhautbündig eingeklebten Front- und Seitenfenstern versehen, die zum Schutz vor zu starker Sonneneinstrahlung getönt sind. Das aus Sicherheitsverbundglas bestehende großflächige Fahrerraumstirnfenster bildet zugleich auch die Abdeckung für die Fahrtzielanzeige und die Scheinwerfer.

Innenausstattung

Zwei im Niederflurbereich mit einer Fußbodenhöhe von 530 mm über Schienenoberkante (SO) angeordnete Doppelschwenkschiebetüren mit einer lichten Weite von 1 300 mm ermöglichen dem Reisenden den Zutritt zum – bei einer Raumhöhe von 2 700 mm – ungewöhnlich großzügig wirkenden Fahrgastraum. Durch Drücken eines separaten Türtasters kann beim Fahrer eine ausfahrbare Rampe angefordert werden, so daß auch Rollstuhlfahrer und Fahrgäste mit Kinderwagen bequem und ohne fremde Hilfe Zugang zum Fahrzeug haben.

In der Ausführung für die Dürener Kreisbahn (DKB) erwarten den Fahrgast im Niederflurbereich an den Einstiegstüren Mehrzweckräume mit in Längsrichtung angeordneten Klappsitzen, Fahrkartenautomaten, speziellen Haltevorrichtungen für Rollstühle und Befestigungen für Fahrräder. Anatomisch geformte Einzelsitze in Vis-à-vis-Anordnung und teilweise in 2+3-Teilung schließen sich an. Der Hochflurbereich mit einer Fußbodenhöhe von 1 130 mm über SO ist über drei flache Stufen zu erreichen. Der großzügige Raumeindruck wird durch die im Niederflurbereich tief herabgezogenen Seitenscheiben und die nicht einschnürenden Wagengelenke mit verspiegelten oberen Querstreben unterstützt. Innenwände und Decke sind zur Minimierung der Schallreflexion mit Teppichboden beklebt.

Wände und Decken sind in dunklen Grau- und Blautönen gehalten, die im dunkelblau gemusterten Stoffbezug der Sitze ihre Fortsetzung finden. Die Beleuchtung des Fahrgastraumes erfolgt durch ein durchgehendes Mittenleuchtenband, dessen Lamellenabdeckung für ein diffuses Licht sorgt. Zwei elektronische Anzeigen im Bereich der Einstiegstüren zeigen die nächste Haltestelle an. Zusätzlich verfügt der RegioSprinter über Innen- und Außenlautsprecher zur akustischen Information der Fahrgäste.

Die gesamte Innenausstattung läßt sich nach den Wünschen des Betreibers flexibel gestalten. So lassen sich nicht nur Art und Anordnung der Sitze sowie die Nutzung der Mehrzweckräume betreiberspezifisch einrichten, sondern es können auch weitere Komponenten wie Toiletten, Gepäckablagen, 1.-Klasse-Abteile und Getränke- und Speiseautomaten eingebaut werden. Auf Wunsch ist auch die Installation einer Klimaanlage möglich.

Die RegioSprinter für die DKB verfügen über je zwei autarke Luftheizungsanlagen für Frischluft- und Umluftbetrieb, die ihre Heizenergie über Wärmeaustauscher aus dem Kühlwasser der Dieselmotoren beziehen und so zu einer besseren Kraftstoffausnutzung beitragen. Um bei ungenügender Wärmeabgabe der Dieselmotoren sowie im Vorwärmbetrieb über eine ausreichende Heizleistung zu verfügen, besitzt jede der beiden Heizungsanlagen ein dieselgefeuertes Zusatzheizgerät. Die Wasserkreisläufe für die Beheizung der Fahrgasträume und der Fahrerräume sind voneinander getrennt, wodurch eine unabhängige Regelung ermöglicht wird. Die Entlüftung erfolgt über statische Dachlüfter.

Der RegioSprinter im Einsatz

Noch im März 1995 wurde der erste von sechzehn RegioSprintern an die Dürener Kreisbahn (DKB) abgeliefert. Bis Herbst desselben Jahres folgten die übrigen Fahrzeuge, so daß die von der DKB im Jahre 1993 übernommenen und zunächst mit ehemaligen Schienenbussen der DB betriebenen Strecken Düren – Jülich und Düren – Heimbach komplett auf die neuen Fahrzeuge umgestellt werden konnten. Ein ausführlicher Bericht über die RegioSprinter-Einsätze bei der DKB ist ab Seite 47 zu finden.

Immer wieder war und ist mindestens ein RegioSprinter – meist das erstgebaute Fahrzeug mit der DKB-Nummer 6.001.1 – auf Probe- oder Präsentationsfahrten im ganzen Bundesgebiet und im angrenzenden Ausland unterwegs. Erste Sonderfahrten führten den RegioSprinter noch im März 1995 nach Karlsruhe zur Tagung der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft. Spektakulär waren die Fahrten auf der Usedomer Bäderbahn (UBB), da der Triebwagen die Insel Usedom nur per Lkw-Tieflader erreichen konnte. Im Oktober 1995 weilte der RegioSprinter schließlich zum 100jährigen Bestehen der badischen Kaiserstuhlbahn im äußersten Südwesten des Landes und traf hier auf den erst rollfähig fertiggestellten GTW 2/6 der Firma Stadler.

Auf seine bislang größte Fahrt ging der erste RegioSprinter schließlich am 21. Februar 1996, als er an Bord eines RO/RO-Schiffes nach Nordamerika verladen wurde. Nach seiner Ankunft in Baltimore im März 1996 wurde der Triebwagen zunächst auf einen eigens dafür vorbereiteten Waggon verladen und nach Calgary in der kanadischen Provinz Alberta transportiert. Dort bediente der RegioSprinter im Auftrag der Stadt Calgary für fünf Monate im kommerziellen Einsatz eine 7 km lange Zubringerstrecke zum Stadtbahnnetz von Calgary. Ziel war es, neben der Akzeptanz durch die Passagiere die technische Eignung des Fahrzeugkonzeptes für den nordamerikanischen Markt zu testen. Weitere Fahrten führten den RegioSprinter in die USA. Das Unternehmen NJ Transit, Newark, plant die Beschaffung von 22 niederflurigen Leichttriebwagen, für den Vorortverkehr von San Diego sollen zwölf Dieseltriebwagen beschafft werden.

Als Ersatz für den stark beanspruchten ersten Dieseltriebzug erhielt die DKB 1996 ein siebzehntes Fahrzeug, so daß Triebzug 6.001.1 nun uneingeschränkt dem Hersteller für Sonderfahrten zur Verfügung steht. Seit dem 29. September 1996 erbringen die DKB-Triebwagen an Wochenenden auch den Gesamtverkehr auf der 42 km langen DB-Strecke Neuss – Grevenbroich – Horrem.

Ebenfalls im Sommer 1996 erhielt die dänische Lyngby-Nærum-Jernbane (LNJ), die nahe Kopenhagen auf einer rund acht Kilometer langen eingleisigen Strecke einen S-Bahn-ähnlichen Taktverkehr betreibt, ihren ersten RegioSprinter. Dieses Fahrzeug ist mit Ausnahme einer blau/dunkelblauen Lackierung und einem zusätzlichen Schienenräumer mit den RegioSprintern der Dürener Kreisbahn weitgehend identisch. Der Triebzug hat sich harten Alltagsbetrieb bei der LNJ bewährt. Von einer Option über 50 Fahrzeuge, die in den nächsten zehn Jahren von mehreren dänischen Privatbahnen abgerufen werden kann, hat die LNJ Ende 1996 zunächst vier Fahrzeuge bestellt, mit deren Auslieferung zum Jahreswechsel 1997/98 zu rechnen ist.

Der RegioSprinter im Vogtland

Schon recht früh entwickelte der Freistaat Sachsen zur Verbesserung des Nahverkehrs das Vogtlandmodell, das den Betrieb von diversen Strecken der Deutschen Bahn durch nichtbundeseigene Eisenbahnen vorsieht. Nach einer europaweiten Ausschreibung erhielt die Regental Bahnbetriebsgesellschaft (RBG) den Verkehrsauftrag für die Strecken Zwickau/Reichenbach – Falkenstein – Adorf/Klingenthal, auf denen mit dem RegioSprinter in Flügelzugbildung gefahren werden soll. Bestellt wurden acht Fahrzeuge, die aufgrund der anderen Verkehrsaufgabe einige Änderungen gegenüber den DKB-Triebwagen aufweisen. So sind die Fahrzeuge mit automatischen Mittelpufferkupplungen und mit Motoren mit einer 15-prozentigen Leistungssteigerung ausgestattet worden. Bis zu vier der Triebwagen können nun zentral von einem Führerstand aus bedient werden. Wegen der extremen winterlichen Verhältnisse im Vogtland sind die RegioSprinter mit Bahnräumern und beheizbaren Kraftstofftanks ausgerüstet. Im Innenraum entfiel einer der beiden Mehrzweckräume, wodurch die Zahl der Sitzplätze von 74 auf 80 erhöht werden konnte. Schließlich wechselten auch die Außenfarben in ein "sächsisches" Grün/Weiß.

Da sich die Sanierung bzw. der Ausbau der beiden Strecken durch die Deutsche Bahn immer weiter verzögerte, die acht RegioSprinter aber ab Juni 1996 pünktlich ausgeliefert wurden, beschloß das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, die Fahrzeuge ab 13. Oktober 1996 zunächst im Nahverkehr auf der 97 km langen Verbindung Zwickau – Plauen – Bad Brambach einzusetzen. Da eine Betriebsaufnahme auf den Vogtlandstrecken immer wieder scheiterte, wurde der im sächsischen Reichenbach ansässigen RBG die Durchführung des Nahverkehrs zwischen Zwickau und Bad Brambach ganz überlassen. Geregelt wird der Einsatz der im Mischverkehr mit vollbahntauglichen Zügen verkehrenden RegioSprinter durch die eingangs erwähnten Studien der TU Hannover.

Für die Strecken von Zwickau und Reichenbach nach Adorf und Klingenthal sind zwischenzeitlich zehn weitere RegioSprinter bestellt worden, die im September 1997 ausgeliefert werden sollen. Man hofft, daß die Strecken bis dahin endlich aufgearbeitet worden sind. Von ihren Vorgängern werden sich die zehn neuen Züge durch diverse Details unterscheiden, da das Einsatzgebiet um eine bemerkenswerte Leistung erweitert wird. Die Fahrzeuge sind gleichzeitig nach der Bau- und Betriebsordnung für Straßenbahnen (BOStrab) ausgelegt, da die Vogtlandbahn ab 1999 auf einem Dreischienengleis die Trasse der meterspurigen Zwickauer Straßenbahn mitbenutzen und bis in die Stadtmitte fahren wird. Im "Straßenverkehr" fahren die Triebwagen auf Sicht und werden mit Blinkern, Schluß- und Bremsleuchten, einer Warnglocke sowie einem Signalgeber zur Weichensteuerung ausgestattet. Die Höchstgeschwindigkeit der bis zu 100 km/h schnellen Triebzüge ist auf der Straße auf 40 km/h begrenzt, auch ist wegen der Überbreite eine Ausnahmegenehmigung erforderlich.

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