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Regionalverkehr 1-1997

Die TALENT-Familie von Talbot

Die Entwicklung der Leichttriebwagenfamilie TALENT wurde durch die enge Zusammenarbeit der fünf europäischen Werke der Bombardier-Eurorail-Gruppe begünstigt, der auch die traditionsreiche Waggonfabrik Talbot seit April 1995 angehört. In nur sechzehn Monaten wurde in den Aachener Werkshallen ein Prototyp konstruiert, der in den folgenden Monaten Probe- und Präsentationsfahrten in nahezu ganz Europa absolvierte. Am 21. Juni 1996 bestellte die Deutsche Bahn 120 dreiteilige Einheiten mit dieselmechanischer und dieselelektrischer Antriebsausrüstung für den schnellen Regional- bzw. den S-Bahn-ähnlichen Verkehr.

Fahrzeugaufbau

Der TALENT-Prototyp gehört einer flexiblen Fahrzeugfamilie an, die in zwei- bis vierteiliger Ausführung lieferbar ist. Neben diversen Antrieben und Innenausstattungen für die unterschiedlichsten Einsatzgebiete lassen sich die Triebwagen nach den Wünschen des Bestellers ausstatten – wie z.B. mit Neigetechnik oder verschiebbaren Sitzen

Die Untergestelle der in Leichtbauweise konzipierten Wagenkästen bestehen aus korrosionsträgem Stahl. Die Seitenwände sind als Stahlgerippe mit GFK-Außenhaut ausgeführt, während die Kopfmodule und das Dach komplett in GfK-Bauweise gefertigt sind. Die Vielzahl der modularen Konzepte gewährleistet einen günstigen Anschaffungspreis sowie eine hohe Wirtschaftlichkeit und Wartungsfreundlichkeit. Beispielsweise kann der Motor- und Getriebeblock als eine einzige Baugruppe ausgetauscht werden, so daß keine langen Ausfallzeiten bei Reparaturen anfallen. Für den Antrieb lassen sich Sechs-, Acht-, oder Zwölf-Zylinder-Motoren aus dem Straßenfahrzeugbau oder die gängigen elektrischen Bahnantriebe für Gleich- und Wechselstrom einbauen, wobei auch eine Ausführung mit Gasantrieb lieferbar ist.

In der dieselgetriebenen Version stehen Motoren verschiedener Hersteller mit unterschiedlichen Leistungen zur Verfügung, die alle die EURO2-Abgasnormen einhalten. Die Kraftübertragung erfolgt durch ein Fünf-Gang-Automatikgetriebe mit integriertem Drehmomentwandler, der gute Beschleunigungswerte bei niedrigem Verbrauch ermöglicht. Zusammen mit der elektronisch angesteuerten Druckluftbremse sorgt der ins Getriebe integrierte Retarder für eine schnelle und komfortable Verzögerung bei minimalem Bremsverschleiß.

Die Antriebsanlagen sind unterflur unter den hochflurigen Bereichen der beiden Endwagen angeordnet, so daß sich die Zwischenwagen der drei- und vierteiligen Varianten vollständig niederflurig ausführen lassen. Zwei Fußbodenhöhen stehen für den Niederflurbereich wahlweise zur Verfügung: 590 mm oder 800 mm über Schienenoberkante (SO). Die Übergänge zwischen den einzelnen Wagen sind durchgehend niederflurig ausgeführt. Jeweils zwei Endwagen liegen dabei auf einem gemeinsamen Jakobs-Drehgestell auf.

Die Verwendung von Drehgestellen mit Gummiprimär- und Sekundärluftfederung sorgt für hohen Fahrkomfort und gute Laufeigenschaften bei minimaler Gleisbeanspruchung. Die Züge der TALENT-Familie können mit Neigetechnik ausgestattet werden, wobei alle Komponenten außen am Wagenkasten angebracht sind, so daß der Fahrgastraum in seiner Geräumigkeit nicht beeinträchtigt wird. Die automatische Mittelpufferkupplung und das Bussystem für die Vielfachsteuerung ermöglichen die Steuerung von bis zu drei Zugeinheiten von einem Führerstand aus.

Innenausstattung

Die Vielfalt der verschiedenen Ausstattungsvarianten findet im Innenraum des TALENT ihre Fortsetzung. Im Prototypen sind die in 2+2-Anordnung installierten Einzelsitze beweglich auf Schienen in den Seitenwänden angebracht und können vom Betreiber innerhalb von Minuten für die verschiedensten Einsatzzwecke umgestaltet werden. Für den werktäglichen Berufsverkehr bietet sich z.B. eine Reihenanordnung der Bestuhlung an, die im Wochenend- und Freizeitverkehr in eine "kommunikative" Vis-à-vis-Anordnung umgewandelt werden kann. Einer der beiden Niederflurbereiche ist zudem als Mehrzweckraum mit Klappsitzen in Längsrichtung ausgerüstet, so daß hier Rollstuhlfahrer oder Fahrgäste mit Kinderwagen, Fahrrädern oder sogar Surfbrettern genügend Platz finden. Für Fahrten im Sonderverkehr – wie beispielsweise als Zubringer zu Großveranstaltungen – läßt sich die Bestuhlung platzsparend zusammenschieben, so daß die Anzahl der Stehplätze entsprechend erhöht wird. Für diese Variante ist auch ein Einsatz im Gütertransport denkbar: Nachts und in verkehrsschwachen Zeiten kann der TALENT zusätzliche Aufgaben im Logistikverkehr übernehmen.

Der Fahrgast betritt den TALENT durch doppelflügelige Schwenkschiebetüren mit einer lichten Weite von 1 300 bis 1 900 mm, die im Niederflurbereich angeordnet sind. Die Verkleidungen an Wänden und Decken sind in hellen Grautönen gehalten. Deckenstrahler und in die Gepäckablagen integrierte Leuchtbänder sorgen für Helligkeit. Die Sitze sind mit dunkelblau gemustertem Stoff gepolstert und verfügen über keinerlei zusätzliche Fußbodenstützen. So können hier zum einen Taschen und Gepäckstücke untergebracht und zum anderen die Reinigungsarbeiten deutlich erleichtert werden. Zur Standardausrüstung gehört eine Klimaanlage. Die doppelt verglasten und getönten Seitenscheiben schützen vor übermäßiger Sonneneinstrahlung.

Der Triebwagen ist mit einer 24-V-Bordnetzausrüstung ausgestattet, so daß alle gängigen Fahrgastinformationssysteme nachrüstbar sind. Die Stromversorgung ist für den Betrieb weiterer Geräte wie Fahrkarten- oder Getränkeautomaten ausgelegt.

Der TALENT auf Tour

Bereits im Febraur 1996 absolvierte der Prototyp zahlreiche Testfahrten, darunter auf der Dürener Kreisbahn (DKB) und auf den Gleisen der Häfen und Güterverkehr Köln (HGK). Seit der Zulassung durch das Eisenbahnbundesamt kommt der Triebwagen zu Probezwecken und auf Vorführfahrten in ganz Deutschland und in Europa zum Einsatz. Zu lauftechnischen Untersuchungen weilte der Prototyp im Versuchszentrum der Deutschen Bahn in Minden und Halle und auf dem Versuchsring der Tschechischen Staatsbahnen (CD) bei Prag. Weitere Fahrten führten nach Polen, Norwegen und in die Niederlande. Von Ende Januar bis Ende April 1997 lief der TALENT-Prototyp schließlich im planmäßigen Zugverkehr der Niederländischen Staatsbahnen (NS) in der Provinz Groningen zwischen Leeuwarden und Stavoren.

Auf Interesse stößt der TALENT nicht nur bei der Deutschen Bahn – auch aus Frankreich, Skandinavien, Israel und Jordanien kommen Anfragen. Nach den Bestellungen der Deutschen Bahn, der Ostmecklenburgischen Eisenbahngesellschaft (OME), der Märkischen Verkehrsgesellschaft (MVG) und der Regio-Bahn Kaarst – Düsseldorf – Mettmann, könnten die nächsten Besteller aus den Niederlanden und aus Norwegen kommen. Die Niederländischen Staatsbahnen (NS) haben vornehmlich für die Strecken in den Provinzen Groningen und Friesland dreißig Triebwagen ausgeschrieben, und die Norwegischen Staatsbahnen (NSB) planen die Beschaffung von leichten Dieseltriebwagen für die "Raumabane" (Dombås – Åndalsnes) und die "Rørosbane" (Hamar – Røros – Trondheim).

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